Hallo in die Runde! Vielen Dank, dass ihr unser Projekt hier vorgestellt habt und so rege diskutiert. Ich habe mich angemeldet, um ein paar neutrale Fakten beizusteuern.
Ich heiße Marion und mit meinem Mann Lars zusammen unterstützen wir seit 5 Jahren eine Berufsschule in Sierra Leone. Das ist eines der ärmsten Länder dieser Welt. Wir haben uns aber auch in dieses Land verliebt, in seine Menschen, die bei aller Armut fast immer ein Lächeln tragen, die sehr dankbar sind für jede Art von Hilfe. Um die Armut zu verstehen muss man wissen, dass es oft nicht klar ist, woher das Essen von morgen kommt. Ein furchtbarer Bürgerkrieg und später die Ebola-Epedemie haben alle vorher vorhandenen Strukturen zerstört. Das Land muss Reis importieren, vor dem Bürgerkrieg war es Exporteur von Reis. Es gibt viele Gründe dafür, aber das steht auf einem anderen Zettel. Wir sind zufällig über diese Berufsschule gestolpert und waren beschämt, dass es so wenig braucht, um einem jungen Menschen dort eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Berufsausbildung = Arbeiten und Geld verdienen = Familie ernähren = bei Frauen die Rolle der Frauen stärken. (Link zum Förderverein:
www.mahmoo.jimdo.com/)
Wir sind 1-2 mal pro Jahr vor Ort. Unser Erfahrung nach braucht es diesen regelmäßigen Kontakt (neben wöchentlichen Telefonaten), um etwas nachhaltiges aufzubauen. Nach zwei Jahren Unterstützung dieser Berufsschule haben wir mit dem Schulleiter zusammen nachgeforscht, wo die vielen Näher, die ihre Berufsausbildung absolvieren, danach arbeiten. Dazu muss man wissen, dass es in dem Ort Kamakwie (Distrikthauptstadt) kein fließend Wasser und keinen Strom gibt, außer man hat einen Generator oder eine Solaranlage. Die Näher*innen lernen und arbeiten also auf den alten mechanischen Nähmaschinen. Leider mussten wir feststellen, dass es nach der fertigen Berufsausbildung noch eine große Hürde gibt: Es ist kein Geld da, um sich eine Nähmaschine zu kaufen, mit der man anfangen könnte, zu arbeiten. Und: Es gibt hier keine Nähfabrik (was schon fast ein Segen wäre), in ganz Sierra Leone nicht. Ist halt noch etwas ärmer als der Rest. Es gibt also keine Jobs, man kann sich nur selber mit der Nähmaschine an den Straßenrand setzen und für Kunden arbeiten. Wenn man eine Maschine hat. Mangels der Maschine und mangels Geld für eine enden leider die meisten unserer Absolvent*innen als Straßenhändler oder in der Prostitution. Das hat uns schwer erschüttert.
Es bräuchte einen Investor. Jemand, der Arbeit schafft... Viele Gedankenwindungen später haben wir entschieden, an die Schule eine Art Graduate-Programme anzuschließen. Die 5-6 besten und motiviertesten Näher*innen eines Jahrgangs können die Räume und die Maschinen der Schule nach ihrem Abschluss nutzen. Aufträge haben wir "Organisiert", indem wir ein Social Business gegründet haben: Lionbag.de. Wir haben mit recycelten Zementsäcken (vor Ort ein gesammelt und am Pumpbrunnen mühsam gereinigt) und schönen afrikanischen Stoffen (vor Ort gekauft) eine Tragetasche entworfen, den LIONBAG. Eine Crowd-Funding-Kampagne in Deutschland hat den Zünder ermöglicht, die Begeisterung für die Taschen und deren nachvollziehbaren Ursprung ist groß und berührend. Die Näher*innen bekommen sehr gut bezahlt. Sie haben sofort Geld in der Tasche für ihre Familien. Einen Teil ihres Gehaltes halten wir zurück und sparen ihn auf, bis jede in diesem Programm ihre eigene Nähmaschine erarbeitet hat. Würden wir das Geld direkt ganz auszahlen, würde es sofort verbraucht werden - die Familien sind groß. Die erste Runde Näherinnen hat schon ihre eigene Nähmaschine verdient und kann jetzt selber starten. Sie sind so stolz und glücklich, für LIONBAG zu arbeiten, dass sie zunächst noch weiter für uns nähen. Im Winter kommen die nächsten. Hier ist die Seite:
www.lionbag.de.
Hier ist ein Film, der alles ein wenig illustriert:
https://www.youtube.com/watch?v=W2tSXCNbp3c&t=3s
Ich muss leider etwas ausholen, damit man alle Zusammenhänge begreift. Wir lassen die Taschen nach Deutschland schicken (Pro Paket von 25 kg immerhin 350€, zahlen Einfuhrsteuer, Zoll und alles andere, was noch daran hängt, verdienen aber am Ende auch ein kleines Bisschen daran. Es ist halt ein Social Business. Ohne daran auch etwas zu verdienen würden wir die immense Arbeit nicht leisten können, müssen ja auch Miete zahlen.
Nun aber das aktuelle Problem: Wir kaufen alles, was möglich ist, vor Ort, um die dortige Wirtschaft zu stärken. Wir sind keine Fans von Containern voller ausgedienter Dinge aus Europa, das zerstört den Markt. Nun haben wir chinesische Nachbauten der alten mechanischen Nähmaschinen, die man vor Ort bekommen kann, für unsere Näher*innen gekauft. Und mussten feststellen, dass sie nichts taugen. Die ersten sind schon kaputt. Das wäre bei den alten Maschinen nicht so schnell passiert. Und das ist alles andere als nachhaltig. Und so haben wir uns durchgerungen, doch hier etwas einzusammeln, alte Nähmaschinen, und sie in einem Container nach Sierra Leone zu verschiffen. Einen Container voll, damit es sich lohnt und damit noch ein paar andere Näher*innen davon profitieren können. Wir hatten einen Zeitungsartikel in unserer Zeitung (Schleswig-Holstein), und sind überwältigt von den vielen Maschinen, die wir angeboten bekomen haben. 100 Stück haben wir tatsächlich mühevoll im Anhänger eingesammelt (und ihr wisst, wie schwer die Dinger sind). Alle müssen jetzt noch überarbeitet werden und ich freue mich über jede Fachkenntnis, die ich hier abgreifen kann, was das angeht, besonders wenn es um Ersatzteile geht. Jetzt fehlt nur noch das Geld für den Transport nach Sierra Leone. Dafür haben wir die schon im ersten Post zitierte Crowd-Funding-Kampagne gestartet und auch hier sind wir schon fast am Ziel, es fehlt nur noch wenig. Auch hier sind wir dankbar für Unterstützung. Hier noch mal der Link:
https://www.startnext.com/naehen-ist-wi ... rn-koennen.
Dies Maschinen sind in Sierra Leone ein wahrer Goldschatz. Nach meinem Bericht versteht ihr bestimmt, dass Kik oder irgendwelche ausbeuterischen Nähfabriken hier weit und breit nicht in Sicht sind. Die Näher*innen, die für uns arbeiten sind stolz und gehen erhobenen Hauptes mit eigenem verdienten Geld nach Hause. Ihre Kinder sind auch immer mit dabei. Und es gibt immer auch Essen für alle. Wenn Sie alleine weiter machen, können Sie überall (auch in ihren Dörfern) mit ihren eigenen Maschinen arbeiten - Schuluniformen nähen, Sonntagskleider, Hemden... Denn trotz der vielen Altkleider aus Europa und der USA, werden hier noch immer traditionelle Kleider getragen.
Das Prinzip ist ganz einfach: Behandele Menschen, mit denen Du zu tun hast, immer so, wie Du selber behandelt werden willst.
Wenn ihr noch Fragen oder Anregungen habt, wir freuen uns über alles! Ich hänge noch ein paar Fotos an.
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