Ich habe ein wenig die Chronik des Singer Werks in Wittenberge gelesen, weil es mich interessiert hat.
http://naehmaschinenwerk.de/naehmaschin ... onik01.htm
Ein paar OFFTOPIC Punkte packe ich hier noch zur Ergänzung des bereits angerissenen OFFTOPIC Themas rein. Das wusste ich noch nicht und vielleicht interessiert das auch jemand.
Singer hat in Deutschland das System der Ratenzahlung beim Kauf einer Nähmaschine eingeführt. Die Wochenrate betrug 1,50 RM. Kunden konnten so die Nähmaschine in 4-6 Jahren abbezahlen. 1 RM entspricht nach heutigem Geld etwa 4 Euro. So eine Nähmaschine, die per Ratengeschäft gekauft wurde, kostete ganz grob über den Daumen gepeilt so insgesamt etwa 1.200 bis 1.600 Euro. Wer bar bezahlt hat, bekam die Maschine natürlich billiger. Aber nur wenige Leute hatten damals so viel Geld.
1913 hat ein durchschnittlicher Singer Mitarbeiter nach heutigem Geldwert (eine alte Mark von damals entspricht etwa 5,20 Euro) ganz grob etwa 7300 Euro pro Jahr verdient (unklar ob brutto oder netto; ich vermute netto). Zusätzliche Vergünstigung gab es zeitweise dadurch, weil Singer auch Großeinkäufe für alle Beschäftige organisierte. Die Singermitarbeiter kamen so günstiger als andere Normalsterbliche an Kohle zum Heizen und Kochen oder Backen, Kartoffel, Butter und sonstige Lebensmittel heran. Arbeitskampfe und Streicks gab es aber um 1920 herum trotzdem relativ hefige und teilweise auch sehr lange. Im Dezember 1921 ging gar nichts mehr. Die Inflation erklomm ihren Höhepunkt. 1922 wurde der Lohn sogar täglich 3x ausbezahlt. Im Dezember 1928 kam es zu Massenentlassungen. 1929 begann die Weltwirtschaftskriese. Am 31.12.1930 gab es nur noch 1000 Beschäftigte (etwa 50% weniger als normal) und viele Arbeitslose in Wittenberge.
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Wer wie ich eine in Wittenberge hergestellte Nähmaschine mit Baujahr so um 1930 herum besitzt (heute etwa 90 Jahre alt), sollte sich bewusst sein, was für eine Nähmaschine er da besitzt. Billig hergestellt wurden die Maschinen damals nicht. Wenn so eine Maschine perfekt gewartet wird, dann läuft sie auch heute noch wie neu mit perfekter Stichqualität und erheblich besser, leichtgängiger und leise, als eine neue vom Discounter. Nach meiner Einschätzung ist der Nutzwert 3-5x höher, weil sie auch in 100 Jahren bei guter Pflege noch wie neu laufen kann und dann sehr viel Geld wert sein kann. Eine Maschine vom Discounter ist vermutlich spätestens nach 4 Jahren so gut wie nicht mehr zu gebrauchen. Reparieren geht meistens nicht oder es lohnt sich nicht. Man kauft heute überwiegend (nicht generell) Plastikschrott mit Sollbruchstellen ein. In der Qualität in der Singer damals die Nähmaschinen hergestellt hat würde eine neue Nähmaschine auch heute noch so etwa um 1000 Euro herum kosten. Wer Nähen kann braucht keine Zierstiche und wenn doch dann normalerweise nur sehr selten. Die kann man auch mit einer alten Nähmaschine herstellen. Es dauert dann halt etwas länger. Das was dabei die alte Maschine kann, kann die neue oft gar nicht. Wenn sie es doch kann oder noch mehr kann, dann interessiert mich das nicht. Ich habe jedenfalls eindeutig festgestellt, dass eine alte Toyota Nähmaschine mit Baujahr um etwa 1978 mehr konnte, als eine neue Toyota Maschine, die so um etwa 2012-2014 hergestellt wurde. Beide Maschinen waren bestimmt nicht schlecht, ich will sie jedenfalls nicht schlecht reden. Die noch älteren deutschen Nähmaschinen konnten noch mehr in einer Art und Weise, wie es die alte und die neue Toyota Maschine nicht konnte. Billige Nähmaschinen vom Discounter schaue ich erst gar nicht an.
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Singer hat während der Kriegszeit expandiert und am Krieg mitverdient. Tatsächlich wurden Panzergranaten und andere Munition für die Nazis hergestellt. Gleichzeitig soll Singer allerdings auch Maschinengewehre für die Allierten in Wittenberge hergestellt haben.
Im August 1942 errichte das KZ Neuengamme in Wittenberge ein Außenlager, in dem viele Häftlinge, besonders Ausländer, den Tod gefunden haben sollen.
Das Werk in Wittenberge wurde ab 15. Juni 1945 als Reparationsleistung bis 1946 hinein demontiert. Die Maschinen wurden nach Russland in ein dortiges Singer Werk abtransportiert. Singer soll daran nicht besonders interessiert gewesen sein, weil die Anlagen während der Kriegszeit ziemlich zerschlissen wurden. Angeblich hat Singer aber eine Entschädigung in Gold-Dollar bekommen. Der Grund und Boden in Wittenberge gehörte nachwievor Singer. Veritas hat angeblich während der ganzen Nachkriegszeit an Singer Pachtzahlungen geleistet.
Von der Konferenz von Jalta im Februar 1945 soll es ein Zusatzprotokoll geben, in dem die Siegermächte auch über den Umgang mit dem Singer-Werk in Wittenberge Vereinbarungen getroffen haben.